Testamente und Schriftgutachten: Es genügt, wenn Richter Schriftzüge vergleichen und zu einem eindeutigen Ergebnis gelangen können

Ein handschriftliches Testament ist vom Erblasser eigenhändig zu errichten. Streiten sich die Erben über die Wirksamkeit einer testamentarischen Verfügung, muss gegebenenfalls die Echtheit der Urkunde festgestellt werden. Ob hierfür die Einholung eines Schriftgutachtens zwingend erforderlich ist, musste im folgenden Fall das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG) beantworten.

Der Erblasser hatte zunächst im Jahr 1995 mit seiner kurz darauf verstorbenen ersten Ehefrau ein gemeinschaftliches eigenhändiges Testament errichtet, in dem beide sich wechselseitig zu Alleinerben einsetzten. Von den beiden Kindern der Eheleute wurde lediglich der Sohn als Schlusserbe eingesetzt. In einem weiteren handschriftlichen Testament aus dem Jahr 2017 setzten sich der Erblasser und seine zweite Ehefrau jeweils zu Alleinerben ein.

Nach dem Tod des Erblassers stritten sich der Sohn und die zweite Ehefrau nun um die Stellung als Alleinerbe.

Das Nachlassgericht kam nach erfolgter Beweisaufnahme und insbesondere nach einem selbst durchgeführten Schriftvergleich zum Ergebnis, dass das im Jahr 1995 errichtete Testament vom Erblasser geschrieben und von den Eheleuten unterschrieben worden sei. Hierzu hat das Gericht vorgelegte Schriftproben eindeutig dem Erblasser bzw. seiner vorverstorbenen Ehefrau zuordnen können.

Liegen laut OLG keine besonderen Umstände vor, die gegen eine eigenhändige Errichtung eines privatschriftlichen Testaments sprechen, genügt es, wenn der mit dem Fall betraute Richter selbst die Schriftzüge des ihm vorliegenden Testaments mit anderen Schriftproben vergleicht und dieses Ergebnis würdigt. Die Einholung eines Gutachtens zur Echtheit eines eigenhändigen Testaments ist nur in Zweifelsfällen notwendig.

In dem hier behandelten Fall hatte das zur Folge, dass die zweite Ehefrau als gewillkürte Alleinerbin des Erblassers anzusehen war. Denn sowohl das erste Testament, dem das Gericht keine wechselseitigen Verfügungen entnehmen konnte, als auch das zweite waren formwirksam errichtet.

Vorinstanz: Amtsgerichts Bernau bei Berlin, Beschluss vom 27.10.2021, Az. 26 VI 722/18

Quelle: Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 16.10.2022 - 3 W 130/21

Fundstelle: https://gerichtsentscheidungen.brandenburg.de

Hinweis: Bestehen Zweifel an der Echtheit einer handschriftlich erstellten testamentarischen Verfügung, sollten Schriftproben aus den Nachlassgegenständen zu Vergleichszwecken gesichert werden.

Der gesamte Inhalt des Beschlusses des OLG Brandenburg 3. Zivilsenat vom 16.10.2022 - 3 W 130/21 - im Einzelnen:

Tenor

1. Die Beschwerde des Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bernau bei Berlin vom 27.10.2021, Az. 26 VI 722/18, wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Beteiligten zu 1 auferlegt.

3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 493.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Erblasser errichtete am 03.02.1992 mit seiner am …1996 verstorbenen ersten Ehefrau ein gemeinschaftliches eigenhändiges Testament, das die Ehefrau niederschrieb und beide Ehegatten unterschrieben. In dem Testament setzten sie ihre Tochter D… (die Zeugin F…) und deren Kinder zu Schlusserben und die Enkeltochter S… M…, die Tochter des Beteiligten zu 1, als befreite Vorerbin ein. Zu deren Nacherbin bestimmten die Ehegatten ihre Tochter D…. Weiter heißt es in dem Testament unter anderem wie folgt:

„…

2. Wir setzen uns hierdurch gegenseitig zum alleinigen Erben ein. Der überlebende Teil wird in keiner Weise beschränkt oder beschwert. Er kann über das beiderseitige Vermögen frei verfügen.

3. Für den Fall des Todes des überlebenden Teils oder für den Fall des gleichzeitigen Versterbens bestimmen hierdurch als unsere Schlusserben:

5. Sämtliche hier getroffenen Verfügungen sind wechselbezüglich. Sie können daher nur gemeinschaftlich geändert oder durch Widerruf beseitigt werden. Nach dem Tode eines Teils von uns soll aber der überlebende Teil berechtigt sein, ohne Beeinträchtigung seines Erbrechts einseitig dieses Testament beliebig zu ändern.“

Der Erblasser errichtete am 31.01.1995 mit seiner am …1996 verstorbenen ersten Ehefrau ein weiteres gemeinschaftliches eigenhändiges Testament, dass der Erblasser niederschrieb und beide Ehegatten unterschrieben. In diesem Testament heißt es unter anderem wie folgt:

„1. Wir sind miteinander verheiratet und leben seit dem 3. Oktober 1990 in dem gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft. Wir haben 2 Kinder, O… M…, geb. am 25.04.1964, und D… D…, geborene M…, geb. Am 1.2.1966. In unserer freien Verfügung sind wir weder durch Erbvertrag oder testamentarische Verfügung nicht beschränkt. Hierdurch widerrufen wir sämtliche früheren Verfügungen von Todes wegen. Das gemeinschaftliche Testament vom 22.12.1993 heben wir hiermit auf.

2. Wir setzen uns hierdurch gegenseitig zum alleinigen Erben ein. Der überlebende Teil wird in keiner Weise beschränkt oder beschwert. Er kann über das beiderseitige Vermögen frei verfügen.

3. Für den Fall des Todes des überlebenden Teiles oder für den Fall des gleichzeitigen Versterbens bestimmen wir hierdurch als unseren alleinigen Schlusserben, unseren Sohn O…, M….“

Der Erblasser errichtete mit seiner 2. Ehefrau, der Beteiligten zu 2, am 30.01.2017 ein weiteres gemeinschaftliches handschriftliches Testament, in dem es unter anderem wie folgt heißt:

„1. Ich L…, A…, E… M…, ….

2. Ich C…, A… M…, ….

schreiben hiermit im Falle unseres Ablebens unseren letzten Willen auf. Wir möchten, dass der Alleinüberlebende (zu 1. L… M… oder zu 2. C… M…) Alleinerbe wird. …“

Die Zeugin F… informierte Ende 1994 ihre Eltern darüber, dass sie sich von ihrem Ehemann trennen würde. Sie erklärten gegenüber der Zeugin F… Anfang 1995, dass sie etwas gemacht hätten, damit ihr damaliger Ehemann nichts kriege, weil sie noch nicht geschieden sei. Sie, die Zeugin F…, bekomme das Grundstück in der F…-R…-Straße sowie ihr Bruder das Grundstück in S…. Der Beteiligte zu 1 hat angegeben, dass seine Eltern ihn über die Errichtung des Testaments 1995 informiert hätten. Sie hätten ihm erklärt, dass es in der Ehe seiner Schwester große Querelen hinsichtlich der Vermögensauseinandersetzung gab und deshalb solle seine Schwester D… das Grundstück in der R…straße allein übertragen bekommen.

Die Ehe der Zeugin wurde 1997 geschieden. Das Eigentum an dem Grundstück R…straße übertrug der Erblasser auf die Zeugin, nachdem sich der Beteiligte zu 1 in Insolvenz befand. Die Zeugin zahlte an den Erblasser für das Grundstück einen Kaufpreis um die 100.000 DM. Das Eigentum an dem Grundstück in S… wurde nicht auf den Beteiligten zu 1 übertragen, sondern verblieb im Eigentum des Erblassers. Es wurde im Rahmen der Insolvenz des Beteiligten zu 1 veräußert und mit dem Verkaufserlös wurde die Grundschuld abgelöst, die für die Bank zur Sicherung von Forderungen gegen den Beteiligten zu 1 bestellt war.

Am 11.02.2010 schloss der Erblasser mit seinen Kindern, dem Beteiligten zu 1, vertreten durch die Zeugin F…, und der Zeugin F…, vor dem Notar L… in B… zur Urkundenrolle-Nr. …/2010 einen Pflichtteilsverzichtvertrag. Die Beteiligte zu 2 schloss in derselben Urkunde einen Pflichtteilsverzichtvertrag mit Ihrer Tochter. In der Urkunde ist festgehalten, dass alle Erschienenen übereinstimmend erklärten, dass der Erblasser in den zurückliegenden Jahren dem Beteiligten zu 1 und seiner Schwester erhebliche unentgeltliche Zuwendungen, darunter jeweils Grundstücke, gemacht habe.

Der Beteiligte zu 1 hat beantragt, ihm aufgrund des Testaments vom 31.01.1995 einen Erbschein als alleinigen Erben zu erteilen. Die Beteiligte zu 2 hat beantragt, ihr aufgrund des Testaments vom 30.01.2017 einen Erbschein als alleinige Erbin zu erteilen.

Der Beteiligte zu 1 hat die Ansicht vertreten, dass der Erblasser durch die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments vom 31.01.1995 an einer anderweitigen Verfügung von Todes wegen gehindert war. Die Formulierung, dass der überlebende Teil in keiner Weise beschränkt oder beschwert sei und über das beiderseitige Vermögen frei verfügen könne, schließe die Wechselbezüglichkeit im Verhältnis der Erbeinsetzung, die beide Ehegatten in diesem Testament zugunsten seiner Person getroffen hätten, nicht aus. Das Testament vom 30.01.2017 sei nicht vom Erblasser geschrieben worden.

Die Beteiligte zu 2 ist der Ansicht, dass die letztwilligen Verfügungen in dem gemeinschaftlichen Testament vom 31.1.1995 nicht wechselbezüglich seien.

Das Nachlassgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss den Antrag des Beteiligten zu 1 zurückgewiesen und die zur Begründung des Antrags der Beteiligten zu 2 erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet.

Gegen diesen Beschluss, der dem Verfahrensbevollmächtigten des Beteiligten zu 1 am 08.11.2021 zugestellt worden ist, hat der Beteiligte zu 1 am 06.12.2021 Beschwerde eingelegt. Er ist weiterhin der Ansicht, dass das Testament vom 30.01.2017 unwirksam sei, weil das gemeinschaftliche Testament vom 31.01.1995 Bindungswirkung entfalte.

Das Nachlassgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

1.

Die gemäß §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die Beteiligte zu 2 ist aufgrund des Testaments vom 30.01.2017 gewillkürte Alleinerbin des Erblassers.

a)

Das gemeinschaftliche Testament der Beteiligten zu 2 und des Erblassers vom 30.01.2017 ist formwirksam errichtet (§§ 2267, 2247 BGB). Der Senat ist wie das Amtsgericht aufgrund der Angaben der Zeugin F… und eines eigenen Schriftvergleichs mit dem Testament vom 31.01.1995 davon überzeugt, dass der Erblasser dieses Testament geschrieben und die Eheleute es unterschrieben haben. Die Zeugin hat die vorgelegten Schriftproben eindeutig jeweils dem Erblasser oder ihrer Mutter zugeordnet. Auch ein Vergleich der Testamente vom 31.01.1995 und vom 31.01.2017 zeigt keinerlei Anhaltspunkte auf, die Anlass dafür geben, an der Urheberschaft des Erblassers zu zweifeln. Die Schrift in beiden Testamenten weist eine deutliche Übereinstimmung auf. Beispielhaft sei hierzu auf die Schreibweise des Namens „O… M…“ verwiesen. Das Schriftbild weist bei allen Buchstaben des Namens eine auch für Laien ersichtliche deutliche Ähnlichkeit auf. Auffällige Abweichungen im Schriftbild bestehen auch im Übrigen nicht. Bei dieser Lage sind auch im Beschwerdeverfahren keine weiteren Ermittlungen (§ 26 FamFG) durchzuführen. Liegen keine besonderen Umstände vor, die gegen eine eigenhändige Errichtung eines privatschriftlichen Testaments sprechen, genügt es, wenn der Tatrichter selbst die Schriftzüge des ihm vorliegenden Testaments mit anderen Schriftproben vergleicht und das Ergebnis würdigt; die Einholung eines Gutachtens zur Echtheit eines eigenhändigen Testaments ist nur in Zweifelsfällen geboten (OLG Düsseldorf FGPrax 2014, 31 m.w.Nw.). Hier sind derartige Zweifel – insbesondere auch wegen der Aussage der Zeugin F…– nicht veranlasst.

b)

Der Erblasser war auch nicht wegen der Bindungswirkung der wechselseitigen Verfügungen in dem gemeinschaftlichen Testament mit seiner verstorbenen Ehefrau gemäß § 2271 BGB gehindert anderweitig zu testieren.

aa)

Gemäß § 2270 Abs. 1 BGB sind letztwillige Verfügungen, die Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament getroffen haben, dann wechselbezüglich, wenn anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen Ehegatten nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen worden wäre, wenn also jede der beiden Verfügungen mit Rücksicht auf die andere getroffen ist und nach dem Willen der gemeinschaftlich Testierenden die eine mit der anderen Verfügung stehen oder fallen soll. Maßgeblich ist der übereinstimmende Wille der Ehegatten zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung. Für den klassischen Fall des Berliner Testaments wird allgemein anerkannt, dass bei einem gemeinschaftlichen Testament die jeweilige Erbeinsetzung der Kinder der Erblasser als Schlusserben und die jeweilige Einsetzung des Ehepartners zum Alleinerben nach dem Erstversterbenden im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit stehen kann (vgl. z.B. BGH NJW 2002, 1126, 1127; OLG Köln Beschluss vom 09.08.2013 - 2 Wx 198/13 - BeckRS 2014, 7566; OLG München NJW-RR 2011, 227; OLG Schleswig, Beschluss vom 13.05.2013 - 3 Wx 43/13 -BeckRS 2013, 9366). Ob dies der Fall ist, ist durch Auslegung des Testaments zu ermitteln. Denn den Ehegatten steht es frei zu bestimmen, ob und inwieweit ihre letztwilligen Anordnungen wechselbezüglich sein sollen, so dass sie dann auch in dem gemeinschaftlichen Testament einander das Recht einräumen können, eigene wechselbezügliche Verfügungen nach dem Tode des anderen Ehegatten einseitig aufzuheben oder zu ändern, ohne dass sie damit aufhören würden, wechselbezügliche Verfügungen zu sein (vgl. BGH NJW 1964, 2056; OLG Frankfurt a. M. Beschl. v. 29.4.2021 – 20 W 3/20, BeckRS 2021, 32070 m.w.Nw.; OLG Düsseldorf NJW-RR 2016, 779).

bb)

Die Auslegung des Testaments (§§ 133, 2084 BGB) vom 31.01.1995 unter Einbeziehung der in dem gemeinschaftlichen Testament vom 03.02.1992 getroffenen Regelung der Wechselbezüglichkeit und der Umstände für die Testamentserrichtung ergibt, dass der Erblasser und seine erste Ehefrau keine Bindung des Letztversterbenden an Einsetzung des Beteiligten zu 1 als Schlusserben wollten. Anknüpfungspunkt für den Ausschluss der Bindungswirkung ist die Klausel, dass der überlebende Ehegatte in keiner Weise beschränkt und beschwert wird und über das beiderseitige Vermögen frei verfügen kann. Aufgrund der gegebenen Anhaltspunkte ist der Senat auch bei der Anlegung eines strengen Maßstabs davon überzeugt, dass der Erblasser und seine Ehefrau mit der gewählten Formulierung dem überlebenden Ehegatten das Recht einräumen wollten, die getroffene Schlusserbeneinsetzung durch Verfügung von Todes wegen abzuändern.

aaa)

Bei der Testamentsauslegung nach §§ 2084, 133 BGB ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Ausdruck zu haften. Da es um die Erforschung des wirklichen Willens des Erblassers geht, sind der Auslegung durch den Wortlaut keine Grenzen gesetzt, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass der Erklärende mit seinen Worten einen anderen Sinn verbunden hat als es dem allgemeinen Sprachgebrauch entspricht. Der Wortsinn der benutzten Ausdrücke muss gewissermaßen „hinterfragt” werden, wenn dem wirklichen Willen des Erblassers Rechnung getragen werden soll. Es müssen daher der gesamte Text der Verfügung und auch alle dem Richter zugänglichen Umstände außerhalb der Testamentsurkunde ausgewertet werden, die zur Aufdeckung des Erblasserwillens möglicherweise dienlich sind (BGH NJW-RR 2009, 1455 m.w.Nw.). Hierzu gehören unter anderem die Vermögens- und Familienverhältnisse des Erblassers, seine Beziehungen zu den Bedachten und seine Zielvorstellungen. Auch können weitere Schriftstücke des Erblassers oder die Auffassung der Beteiligten nach dem Erbfall von dem Inhalt des Testaments Anhaltspunkte für den Willen des Erblassers geben. (BGH NJW-RR 2009, 1455 m.w.Nw.). Neben dem in der Testamentsurkunde verkörperten Wortlaut der Erklärung des Erblassers sind bei einer Auslegung im Übrigen alle Nebenumstände heranzuziehen und zu würdigen, selbst wenn sie für andere nicht erkennbar waren. Handelt es sich um ein gemeinschaftliches Testament, so ist bei der Auslegung nach den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB zu prüfen, ob ein nach dem Verhalten des einen Ehegatten mögliches Auslegungsergebnis auch dem Willen des anderen Teils entspricht, wobei der Wille des einen Ehegatten auch einen Anhalt für den Willen und die Vorstellung des anderen darstellen kann, weil die beiderseitigen Verfügungen nicht selten Ausdruck eines gemeinsam gefassten Entschlusses beider Teile sind (OLG Hamburg Beschluss vom 30.12.2019 – 2 W 56/19 - BeckRS 2019, 59484; BGH ZEV 2015, 345 Tz. 12 m.w.N.; KG DNotZ 2019, 297).

Der Senat hat bei der Auslegung berücksichtigt, dass in der obergerichtlichen Rechtsprechung verbreitet - unter Hinweis auf den von ihr angenommenen strengen Maßstab bzw. eine für geboten erachtete Zurückhaltung - die Auffassung vertreten wird, dass jedenfalls die häufig verwendeten Bestimmungen, wonach etwa der Überlebende „frei und ungehindert über sein Vermögen verfügen“ könne, „über den beiderseitigen Nachlass frei verfügen könne“, „über das beiderseitige Vermögen in jeder Weise frei verfügen könne“ oder „frei und unbeschränkt über den Nachlass verfügen“ könne, mangels anderer Anhaltspunkte im Zweifel nur Ermächtigungen zur Vornahme von Verfügungen des Letztlebenden unter Lebenden enthalten sollen (vgl. Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht NJW-RR 2014, 965; BayObLG NJW-RR 2002, 1160; Oberlandesgericht Köln, Beschluss vom 09.08.2013 - 2 Wx 198/13 – BeckRS 2014,7566; Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 27.09.2001 - 15 W 88/01 - BeckRS 2001, 12942 ; OLG Hamburg Beschluss vom 30.12.2019 – 2 W 56/19 - BeckRS 2019, 59484; Kammergericht, OLG-NL 1998, 10; anders zu der Formulierung: „Der Überlebende von ihnen ist berechtigt über seinen Nachlass frei zu verfügen“: BayObLG BayObLGZ 1987, 23).

ccc)

Der Wortlaut des Testaments enthält keinen ausdrücklichen Ausschluss der Wechselbezüglichkeit oder eine Änderungsbefugnis des überlebenden Ehegatten. Die Formulierung, dass der Überlebende in keiner Weise beschränkt oder beschwert wird, kann sich aber auch darauf beziehen, anderweitig nach dem Tod des Ehegatten von Todes wegen zu verfügen. Die Bestimmung, der Überlebende könne über das beidseitige Vermögen frei verfügen ist für sich genommen auch nicht eindeutig. Sie bezieht aber das eigene Vermögen (beiderseitiges Vermögen) des Überlebenden mit ein, das auch bei einer Vor- und Nacherbschaft keinen Verfügungsbeschränkungen unterliegt. Insoweit macht eine Beschränkung auf Verfügungen unter Lebenden wenig Sinn.

Die unmittelbare Anknüpfung dieser Passage an die Erbeinsetzung des Überlebenden unter Ziff. 2 des Testaments bei gleichzeitig davon abgesetzter Einsetzung des Schlusserben unter Ziff. 3 legt wiederum eine Ermächtigung nur zur freien Verfügung unter Lebenden nahe.

Welches Verständnis der Erblasser und seine erste Ehefrau von dieser Klausel hatten, lässt sich im Rückschluss aus ihrem gemeinschaftlichen Testament vom 03.02.1992 erschließen. Dort haben die Ehegatten die wortgleiche Formulierung unmittelbar nach der Einsetzung des jeweils anderen zum Erben verwendet. Anders, als in dem Testament vom 31.01.1995 finden sich dort aber weitere Regelungen zur Wechselbezüglichkeit. Aus der ausdrücklichen Bestimmung der Wechselbezüglichkeit sämtlicher getroffenen Verfügungen unter Ziff. 5 dieses Testaments lässt sich auf das Verständnis der Testierenden von Ziff. 2 S. 2 und S. 3 des Testaments schließen. Aus dieser Bestimmung der Wechselbezüglichkeit mit gleichzeitiger Befreiung des Letztversterbenden von der Bindungswirkung ergibt sich zunächst einmal die Kenntnis der Testierenden von der Wirkung der Wechselbezüglichkeit der Verfügungen. Ihnen war bewusst, dass zu Lebzeiten das gemeinschaftliche Testament hinsichtlich der wechselbezüglichen Verfügungen nur gemeinschaftlich oder durch Widerruf geändert oder beseitigt werden konnte. Der Regelung in Ziff. 5 bezüglich der Anordnung der Wechselbezüglichkeit hätte es nicht bedurft, wenn der Erblasser und seine erste Ehefrau Ziff. 2 S. 2 und S. 3 des Testaments lediglich als eine Ermächtigung zur Verfügung unter Lebenden verstanden hätten; sie mithin trotz dieser Passage von einer Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments ausgegangen wären.

Aus Ziff. 3.d) des Testaments vom 03.02.1992 ergibt sich, dass dem Erblasser und seiner ersten Ehefrau das Rechtsinstitut der Vor- und Nacherbschaft geläufig war. Hier haben sie ihre Enkelin Sarah zur „befreiten“ Vorerbin als Schlusserbin zu 1/6 des Nachlasses eingesetzt. Mithin wussten sie, dass nur der Vorerbe in seiner Verfügung unter Lebenden Beschränkungen unterworfen ist. Dagegen erfolgte die gegenseitige Erbeinsetzung der Testierenden ohne Bedingung. Auch dies spricht für ein Verständnis der Ehegatten, dass Ziff. 2 S. 2 und S. 3 des Testaments sich nicht lediglich auf Verfügungen unter Lebenden, sondern auch auf Verfügungen von Todes wegen erstrecken.

Bei der Auslegung war auch der Beweggrund der Ehegatten für die Errichtung des Testaments vom 31.01.1995 zu berücksichtigen. Die Ehegatten setzten ihren Sohn, den Beteiligten zu 1, mit diesem Testament, zum Alleinerben ein, weil sie wegen der Trennung ihrer Tochter, der Zeugin F…, von ihrem damaligen Ehemann, sicherstellen wollten, dass dieser im Falle ihres Todes keine Vermögensvorteile erhalte. Das ergibt sich aus der Aussage der Zeugin F… und den Angaben des Beteiligten zu 1 bei seiner Anhörung durch das Nachlassgericht. Beide haben übereinstimmend angegeben, dass das Verhältnis der Eltern zu beiden Kindern zum damaligen Zeitpunkt gut war. Die Eltern waren danach immer bemüht, beide Kinder gleich zu behandeln. Auch wenn der Erblasser und seine Ehefrau zu diesem Zeitpunkt offenbar vorhatten, beiden Kindern jeweils ein Grundstück unter Lebenden zuzuwenden, spricht gleichwohl der Beweggrund für die Errichtung des Testaments dafür, dass die Enterbung der Zeugin F… nur vorübergehend bis zum Abschluss der vermögensrechtlichen Auseinandersetzung der Zeugin mit ihrem damaligen Ehemann erfolgen sollte. Auch dies ist ein Indiz, dass bei einem vorzeitigen Tod eines der Ehegatten der Überlebende anderweitig testieren dürfe.

Ein weiteres Indiz ist das Verhalten des Erblassers nach dem Tod seiner ersten Ehefrau. Er ging – wie es der Abschluss des Pflichtteilsverzichtsvertrags auch mit dem Beteiligten zu 1 im Jahr 2010 belegt – davon aus, dass er in seiner Testierfreiheit durch das gemeinschaftliche Testament vom 31.01.1995 nicht eingeschränkt war.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 FamFG. Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf §§ 61, 40 Abs. 1 GNotKG.

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