X. Frage: Wann kann aus verhaltensbedingten Gründen gekündigt werden?
Verhaltensbedingte Kündigungsgründe liegen vor, wenn der Mitarbeiter oder Arbeitnehmer sich derart vertragswidrig verhalten hat, dass eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitgeber bei Abwägung aller Interessen nicht mehr zuzumuten ist. Dies ist dann der Fall, wenn
davon auszugehen ist, dass sich der Mitarbeiter auch in Zukunft vertragswidrig verhalten wird. Eine solche Prognose ist regelmäßig nur dann gerechtfertigt, wenn das vertragswidrige Verhalten aufgetreten ist, obwohl der Mitarbeiter zuvor bereits wegen ähnlicher Pflichtverletzungen abgemahnt wurde. Eine Kündigung ohne vorherige einschlägige Abmahnung ist nur in besonderen Ausnahmefällen möglich, z.B. bei Diebstahl, Betrug (z.B. Spesenbetrug oder Arbeitszeitbetrug), Körperverletzung, schwerer Beleidigung etc.
Beispielsfälle aus der Rechtsprechung:
- Nebentätigkeit
Allein der Verstoß gegen die Anzeigepflicht einer Nebentätigkeit genügt ohne vorherige einschlägige Abmahnung nicht, um eine verhaltensbedingte Kündigung zu rechtfertigen (LAG Köln, Urt. v. 04.12.2013 - 11 Sa 350/13 DRsp Nr. 2014/9821). - eigenmächtiger Urlaubantritt, Selbstbeurlaubung
Der ungenehmigte Antritt eines Urlaubs durch einen Arbeitnehmer (Selbstbeurlaubung) kann grundsätzlich einen Grund für eine verhaltensbedingte Kündigung darstellen. Im Rahmen der Interessenabwägung ist jedoch zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, ob der Urlaub hätte gewährt werden müssen und wie lange der Arbeitgeber es versäumt hatte, über den Urlaubsantrag zu entscheiden (LAG Köln, Urt. v. 28.06.2013 – 4 Sa 8/13, NZA-RR 2014, 13).
Ein eigenmächtiger Urlaubsantritt ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB zu bilden. Dies gilt auch dann, wenn der eigenmächtige Urlaubsantritt nach Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist einer unwirksamen Kündigung (während einer Prozessbeschäftigung) erfolgt. In diesem Zusammenhang spielt es letztlich keine Rolle, ob sich bei Auslegung der Erklärungen der Parteien zur Prozessbeschäftigung ergibt, dass eine auflösend bedingte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses oder eine Beschäftigung zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung vereinbart wurde. Einer Abmahnung bedarf es regelmäßig nicht. Im Rahmen der Interessenabwägung wirkt es sich nicht zugunsten des Arbeitnehmers aus, dass der Urlaubsantrag kurz vor Ablauf des Übertragungszeitraums gestellt wurde. Durch die Rechtsprechung des EuGH vom 6. November 2018 (- C-684/16 -) ist geklärt, dass die Befristung des Urlaubsanspruchs auf das Ende des Kalenderjahres bzw. den Übertragungszeitraum die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten durch den Arbeitgeber voraussetzt (LArbG Baden-Württemberg Urteil vom 1.10.2020, 17 Sa 1/20). - Verhaltensbedingte Kündigung wegen falscher Arbeitszeitangabe
Gibt ein Arbeitnehmer an, er habe beim Kunden täglich acht Stunden gearbeitet, obwohl er tatsächlich deutlich weniger gearbeitet hat, kann dies grundsätzlich eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen. Ohne vorherige Abmahnung ist eine verhaltensbedingte Kündigung dann nicht gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer hierzu keine Arbeitszeiterfassungssysteme manipuliert hat und er davon ausgehen konnte, dass der Arbeitgeber die tatsächlichen Arbeitszeiten sowieso von dem Kundenbetrieb erfahren wird. LAG Köln, Urt. v. 16.04.2013 – 11 Sa 47/13, DRsp Nr. 2013/21590). - Verhaltensbedingte Kündigung wegen Verhalten des Ehemannes
Eine üble Nachrede gegenüber dem Arbeitgeber durch den Ehemann der Arbeitnehmerin rechtfertigt keine Kündigung der Arbeitnehmerin, wenn ihr diese Äußerung nicht zuzurechnen
ist (LAG Köln, Urt. v. 22.01.2013 – 11 Sa 665/12, DRsp Nr. 2013/21591). - Verhaltensbedingte Kündigung wegen mehrfacher Verspätungen
Mehrfache Verspätungen trotz einschlägiger Abmahnungen können grundsätzlich eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen. Bei der Interessenabwägung ist jedoch zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, wenn dieser aufgrund der Betreuungssituation des Kindes vermehrt zu spät zur Arbeit erscheint. Selbst wenn Verspätungen der Arbeitnehmerin in der Vergangenheit bereits in drei Fällen abgemahnt wurden, berechtigt eine weitere Verspätung den Arbeitgeber nicht zwangsläufig zur verhaltensbedingten Kündigung. Im Rahmen der allgemeinen Interessenabwägung ist zugunsten der Arbeitnehmerin zu berücksichtigen, wenn die Verspätungen in einem Zusammenhang mit geänderten Arbeitszeiten standen und die Arbeitnehmerin nicht in der Lage war, die Betreuung ihrer Kinder so zu gewährleisten, dass sie pünktlich zur Arbeit erscheinen kann( LAG Köln, Urt. v. 27.02.2015 – 9 Sa 696/14, NZA-RR 2015, 469).
Normalerweise verletzt ein Arbeitnehmer, wenn er häufig zu spät kommt, schuldhaft und beharrlich seine Arbeitspflicht. Im Falle der Arbeitnehmerin stellte sich das Landesarbeitsgericht jedoch die Frage, ob diese bereits schuldhaft und beharrlich ihre Arbeitspflicht verletzt habe; schließlich habe sie sich zuvor um eine Verschiebung des Arbeitsbeginns bemüht. Zudem lag der Grund für ihr Zuspätkommen darin, dass sie für ihre Kinder vor 7:00 Uhr keine Kinderbetreuung hatte. Hinzu kam, dass die Anordnung der Arbeitszeit ab 7:00 Uhr nicht billigem Ermessen entsprach. Weist der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer neue Arbeitszeiten im Rahmen seines Direktionsrechts zu, so muss er hierbei auch die Interessen des Arbeitnehmers berücksichtigen und nicht nur seine eigenen. Im Falle der Arbeitnehmerin musste er daher deren Pflichtenkollision wegen der Personensorge (Kinderbetreuung) berücksichtigen. D. h., der Arbeitgeber durfte bereits nicht wirksam den Arbeitsbeginn ab 7:00 Uhr anordnen. Demzufolge bestand auch keine Pflichtverletzung seitens der Arbeitnehmerin. Die Klägerin hatte das Recht, ihre Leistung, d. h. den Arbeitsbeginn ab 7:00 Uhr zu verweigern, da ihr dies wegen der Personensorge für ihre Kinder unmöglich war. Ein Arbeitsbeginn ab 7:00 Uhr hätte sie in eine unverschuldete Notlage gebracht. Bei der Prüfung, ob eine Kündigung wirksam ist oder nicht, werden zudem immer die so genannten Interessen des Arbeitgebers gegenüber denjenigen des Arbeitnehmers abgewogen. Die Richter waren im Falle der Arbeitnehmerin der Auffassung, dass die familiären Belange der Arbeitnehmerin in diesem Einzelfall die Interessen des Arbeitgebers an einem Arbeitsbeginn ab 7:00 Uhr morgens überwogen haben. Daher kamen sie zu dem Ergebnis, dass die Kündigung nicht sozial gerechtfertigt und somit unwirksam war. - Verhaltensbedingte Kündigung wegen unerlaubter Nutzung des betrieblichen PC
Wenn die „gelegentliche private Nutzung“ des Dienstcomputers gestattet war, kann nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz die Kündigung eines langjährig beanstandungsfrei beschäftigten
Arbeitnehmers unwirksam sein, der innerhalb von mehr als sechs Jahren von seinem Dienstcomputer aus zwei Dateien mit pornographischen Bildern an einen Arbeitskollegen weitergeleitet hat, zweimal mit betriebsfremden Personen über zwei und drei Stunden einen E-Mail-Schriftwechsel mit eindeutig sexuellem Inhalt geführt hat und in geringem Umfang EMails über den Verkauf und Ankauf verschiedener Gegenstände und sonstigem privaten Inhalt versandt hat. Eine Kündigung rechtfertigt sich auch nicht dadurch, dass der Arbeitnehmer kurz vor der Sicherstellung seines Dienstcomputers durch den Werkschutz eine größere Anzahl von Dateien und Internetverläufen gelöscht hat (LAG Köln, Urt. v. 18.07.2012 – 9 Sa 209/12, LAG Köln, Urt. v. 18.07.2012 – 9 Sa 209/12, MMR 2013, 478)