Kontinuität und Stabilität - Allein das Kindeswohl ist bei Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts zu berücksichtigen
Lassen sich Eltern scheiden und können sich diese nicht über das Aufenthaltsbestimmungsrecht über die Kinder verständigen, muss ein Gericht entscheiden. Bei der Entscheidungsfindung hat das Kindeswohl für das Gericht als Entscheidungskriterium oberste Priorität - so auch für das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 01.08.2024 - 6 UF 117/24), das über die Beschwerde zu entscheiden hatte.
Die Eltern eines vierjährigen Jungen stritten sich um dessen Aufenthaltsbestimmungsrecht. Das Kind lebte bei der in Vollzeit arbeitenden Mutter und deren Großeltern und wurde zu Hause betreut. Der Kindesvater lebte mit seiner Schwester in einer anderen Stadt, in der auch seine Mutter sowie seine aktuelle Lebensgefährtin wohnten. Als die Mutter nun ebenso einen neuen Lebensgefährten kennenlernte, wollte sie mit dem Sohn zu diesem in eine fremde Stadt ziehen. Der Vater stellte daraufhin gerichtlich einen Antrag auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf ihn. Der Sohn sei bei ihm "zu Hause" und habe eine starke Bindung zum Vater. Die Kindesmutter beantragte ihrerseits die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf sich.
Die Kindesmutter verlor sowohl in erster Instanz vor dem Amtsgericht als auch mit ihrer Beschwerde vor dem OLG. Nach Anhörung der Eltern, des Kindes, der Stellungnahmen von Verfahrensbeiständin und des Jugendamts - entschied das OLG auf Basis der dem Wohl des Kindes am besten entsprechenden Entscheidung (§ 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB).
Erwägungen der Kontinuität und Stabilität der kindlichen Lebensbedingungen waren die ausschlaggebenden Kriterien. Nur bei einem Verbleib beim Vater - in dessen vertrauten Haushalt mit vertrauten Bezugspersonen - könne beides gewährleistet werden. Die Mutter war bislang zwar Hauptbezugsperson, aber mit dem Umzug wäre das Kind in eine neue Umgebung gezogen und hätte ihm wichtige Bezugspersonen verloren.
Hinweis: Soll eine Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts erreicht werden, muss sorgfältig dargelegt werden, warum der Antrag dem Kindeswohl entspricht. Wie für Kontinuität für das Kind gesorgt wird und wie für dessen optimale Förderung, muss vorher gut abgewogen werden.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 01.08.2024 - 6 UF 117/24
Fundstelle: www.rv.hessenrecht.hessen.de
BVerwG, Urt. v. 12.12.2023 - 5 C 9.22 -
Unterhaltsvorschussleistungen bei Mitbetreuung durch den anderen Elternteil
Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat am 12.12.2023 entschieden. Leben die Eltern eines Kindes getrennt und leistet der barunterhaltspflichtige Elternteil den Mindestunterhalt nicht, beteiligt sich aber an der Betreuung des Kindes, besteht ein Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz nur dann, wenn der Mitbetreuungsanteil unter 40 vom Hundert liegt.
Sachverhalt:
Die Klägerin beantragte Anfang 2020 Unterhaltsvorschussleistungen für ihre beiden siebenjährigen Kinder (Zwillinge). Der Beklagte lehnte die Leistung mit der Begründung ab, die Kinder lebten im Sinne des Unterhaltsvorschussgesetzes (UVG) nicht bei der Klägerin, weil sie gemäß einer familienrechtlichen Vereinbarung vierzehntägig von Mittwochnachmittag bis Montagmorgen beim Vater seien, der sie in dieser Zeit betreue. Die auf Gewährung von Unterhaltsvorschussleistungen gerichtete Klage blieb vor dem Verwaltungsgericht Minden und dem Oberverwaltungsgericht Münster erfolglos. Zur Begründung hat das Oberverwaltungsgericht im Wesentlichen auf das gemeinsame Sorgerecht der Eltern sowie darauf abgestellt, dass dieses auch tatsächlich praktiziert werde. Dies zeige sich an einem Betreuungsanteil des Vaters, der während der Schulzeiten 36 vom Hundert betrage und zu einer wesentlichen Entlastung der Klägerin bei der Betreuung der Kinder führe.
Entscheidungsgründe:
Das Bundesverwaltungsgericht hat den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Münster aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses zurückverwiesen. Der Anspruch auf Unterhaltsvorschussleistungen setzt neben ausbleibenden oder unzureichenden Unterhaltszahlungen durch den barunterhaltspflichtigen Elternteil weiter voraus, dass das Kind bei einem Elternteil lebt (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG). Das verlangt eine auf Dauer angelegte häusliche Gemeinschaft, in der das Kind auch betreut wird. Die Vorschrift knüpft damit nach ihrem auch bereits in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck gebrachten Sinn und Zweck an die durch das Alleinerziehen geprägte prekäre Situation an. Diese besteht darin, dass das Kind "nur" bei diesem Elternteil lebt, weil hauptsächlich er die Betreuung (Pflege und Erziehung) des Kindes tatsächlich wahrnimmt und hiermit wegen des Ausfalls des anderen Elternteils besonders belastet ist. Außer in den Fällen vollständigen Alleinerziehens liegt eine solche Belastung auch dann vor, wenn der Schwerpunkt der Betreuung ganz überwiegend bei diesem Elternteil liegt, obgleich auch der andere Elternteil Betreuungsleistungen für das Kind erbringt. Eine wesentliche Entlastung des einen Elternteils, welche die faktische Gesamtlage der gesetzlich in Bezug genommenen Alleinerziehung und damit den Anspruch auf Unterhaltsvorschuss ausschließt, liegt vor, wenn sich der andere (barunterhaltspflichtige) Elternteil in der Weise an der Pflege und Erziehung des Kindes beteiligt, dass sein Betreuungsanteil 40 vom Hundert erreicht oder überschreitet. Der durch die Mitbetreuung eintretende Entlastungseffekt ist insbesondere aus Gründen der Rechtssicherheit sowie unter Berücksichtigung der Verwaltungspraktikabilität ausschließlich im Hinblick auf die Zeiten der tatsächlichen Betreuung zu ermitteln, also nach den Zeiten, die das Kind in der Obhut des einen oder des anderen Elternteils verbringt, und zwar ohne Wertung und Gewichtung einzelner Betreuungsleistungen. Bei ganztätig wechselweiser Betreuung kommt es typisierend darauf an, wo sich das Kind zu Beginn des Tages aufhält. Dem Bezug des Kindergeldes sowie Vereinbarungen zum Umgangsrecht kann demgegenüber nur eine indizielle und dem Bestehen eines gemeinsamen Sorgerechts grundsätzlich keine Bedeutung zukommen. Da das Oberverwaltungsgericht zu den maßgeblichen tatsächlichen Verhältnissen und zur Zahlung von Unterhalt keine hinreichenden Feststellungen getroffen hat, war die Sache an dieses zurückzuverweisen.
BVerwG 5 C 9.22 - Urteil vom 12.12.2023
Vorinstanzen:
OVG Münster, OVG 12 A 3583/20 - Urteil vom 04. Juli 2022
VG Minden, VG 6 K 998/20 - Urteil vom 25. November 2020 -
BVerwG 5 C 10.22 - Urteil vom 12. Dezember 2023
Vorinstanzen:
OVG Münster, OVG 12 A 3621/20 - Urteil vom 04. Juli 2022 -
VG Minden, VG 6 K 1002/20 - Urteil vom 25. November 2020 -
Schlösseraustausch nicht erlaubt: Wer im Krach aus der Ehewohnung geht, verliert nicht seine
Rechte auf Mitbesitz
Wenn Ehekonflikte unerträglich werden, packt mancher rasch eine Tasche und geht "erstmal" – um dann später festzustellen, dass die Schlösser ausgetauscht wurden und er nicht mehr in die Ehewohnung hineingelassen wird. Das muss er aber rechtlich nicht hinnehmen, wie der folgende Fall des Oberlandesgerichts Celle (OLG Celle, Beschl. v. 10.08.2022 - 21 WF 87/22) wegen Verfahrenskostenhilfe für einen Antrag auf Mitbenutzung der (gemieteten) Ehewohnung beweist.
Dafür muss auch keine sogenannte "unbillige Härte" vorliegen. Es kommt auch nicht darauf an, ob die Eheleute die Wohnung gemeinsam angemietet haben oder wer Eigentümer ist. Denn das Recht beider Eheleute auf Mitbesitz an der Ehewohnung und an den Haushaltsgegenständen erlischt nicht durch "bloßes Verlassen" oder vorübergehende Abwesenheit. Das Recht entfällt erst dann, wenn die Ehegatten anlässlich ihrer Trennung eine abweichende Vereinbarung über die künftige Nutzung der Ehewohnung getroffen haben oder ein Ehegatte aus der Ehewohnung mit dem Willen ausgezogen ist, die Trennung auf diese Weise herbeiführen zu wollen.
Das OLG half dem Mann in diesem Fall hier im Eilverfahren mit der "Wiedereinräumung des Mitbesitzes", weil er sich mangels anderer Schlafmöglichkeiten in Notunterkünften aufhielt.
Hinweis: Anders wäre es, wenn einer die Ehewohnung zur alleinigen Nutzung zugewiesen habenmöchte. Dann muss eine unbillige Härte - beispielsweise wegen Gewalt - glaubhaft gemacht werden, damit man die Wohnung für sich allein haben kann.
Quelle: OLG Celle, Beschl. v. 10.08.2022 - 21 WF 87/22
Fundstelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de
Sachverhalt und wesentliche Entscheidungsgründe
Veröffentlichung von Kinderfotos auf einer kommerziellen Internetseite nur mit Zustimmung beider Elternteile
OLG Oldenburg, Beschl. v. 24.05.2018 – 13 W 10/18
Sind beide Eltern sorgeberechtigt, müssen auch beide zustimmen, wenn Fotos der gemeinsamen Kinder im Internet veröffentlicht werden sollen. Das OLG Oldenburg hat für eine Veröffentlichung auf einer kommerziellen Internetseite entschieden, dass es sich dabei um eine „Angelegenheit von erheblicher Bedeutung“ handelt. Einem dagegen gerichteten Gerichtsverfahren müssen aber ebenfalls beide Eltern zustimmen.
Sachverhalt:
Der antragstellende Vater und die Mutter des betroffenen Kindes sind geschiedene Eheleute mit gemeinsamer elterlicher Sorge. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind liegt bei der Mutter. Die Mutter ist nunmehr mit dem Antragsgegner verheiratet. Sie lebt mit der Tochter auf dessen Bauernhof. Der Antragsgegner bewirbt seinen Bauernhof mit einer eigenen Seite im Internet, auf der er auch Fotos des Kindes präsentiert.
Der Antragsteller rügt, die Mutter habe diese Veröffentlichungen ohne sein Einverständnis erlaubt. Im Namen seiner Tochter begehrt er Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Klage, die Verbreitung von Bildern und persönliche Infos des Kindes auf der Seite des Antragsgegners zu untersagen, diesem darüber hinaus aufzugeben, alles Betreffende aus Internet-Suchmaschinen zu entfernen, weitere Veröffentlichungen zu untersagen und Schadensersatz zu zahlen.
Sein Prozesskostenhilfeantrag wurde abgelehnt, da er ohne familiengerichtliche Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf ihn nicht befugt sei, gegen die Veröffentlichung vorzugehen. Hiergegen wendet er sich mit sofortiger Beschwerde. Rechtsmittel ist nicht begründet.
Wesentliche Aussagen der Entscheidung:
Bildnisse dürfen nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden (§ 22 KunstUrhG). Hierunter fällt auch das Einstellen von Fotos auf Internetseiten. Werden Minderjährige abgebildet, muss die Einwilligung der gesetzlichen Vertreter eingeholt werden. In der Regel gem. § 1629 BGB also die Einwilligung der sorgeberechtigten Eltern.
In vorliegenden Fall haben die Eltern des betroffenen Kindes das gemeinsame Sorgerecht. Die Entscheidung über die Veröffentlichung von Fotos des Kindes auf der streitbefangenen Internetseite und demzufolge auch bei einer Entscheidung über ein gerichtliches Vorgehen gegen eine unberechtigte Veröffentlichung stellt eine Angelegenheit dar, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist.
Die Entscheidung, im Namen der Tochter gegen eine unberechtigte Veröffentlichung vorzugehen, ist gem. § 1687 Abs. 1 Satz 1 BGB von den Eltern ebenfalls gemeinsam zu treffen. Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung i.S.v. § 1687 Abs. 1 Satz 1 BGB sind im Regelfall solche, die nicht häufig vorkommen und auch deshalb regelmäßig erhebliche Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung haben oder haben können und in ihren Folgen nur mit einigem Aufwand zu beseitigen sind. Zu beachten ist ferner die soziale Bedeutung des Entscheidungsgegenstandes.
Zunächst ist der besonderen Bedeutung des in § 22 KunstUrhG einfachgesetzlich normierten Rechts am eigenen Bild als Ausprägung des auf Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG beruhenden allgemeinen Persönlichkeitsrechts Rechnung zu tragen. Da der Personenkreis, dem die Fotos zugänglich gemacht werden, theoretisch unbegrenzt ist, ist dieses Recht gerade bei Veröffentlichung von Fotos im Internet besonders gefährdet.
Weder eine zuverlässige Löschung von Fotos noch eine Kontrolle einer etwaigen Weiterverbreitung und Weiterverarbeitung sind möglich. Die streitbefangenen Fotos wurden und werden aufgrund ihres eindeutig werbenden Charakters schwerpunktmäßig mit kommerzieller Zielrichtung auf der Webseite des vom Antragsgegner betriebenen Bauernhofes veröffentlicht.
Insbesondere aufgrund dessen erscheint das sechsjährige Mädchen besonders schutzbedürftig, sodass für diese eine Entscheidung für oder gegen die Veröffentlichung von Bildern auf der streitbefangenen Internetseite i.S.v. § 1687 Abs. 1 Satz 1 BGB von erheblicher Bedeutung ist.
Die Entscheidung über die Veröffentlichung von Kinderbildern kann mithin nur im gegenseitigen Einvernehmen der Eltern erfolgen. Im Umkehrschluss folgt daraus jedoch zwingend, dass der Antragsteller nicht allein befugt ist, den Antragsgegner wegen unzulässigen Hochladens der Fotos gerichtlich in Anspruch zu nehmen.
Bislang obliegt den Eltern des Kindes die elterliche Sorge gemeinsam; der Antragsteller hat nicht nachgewiesen, dass eine familiengerichtliche Übertragung der Entscheidung über ein derartiges Vorgehen auf ihn nach § 1628 BGB erfolgt ist. Aus diesem Grund war die beabsichtigte Rechtsverfolgung mangels hinreichender Erfolgsaussicht zurückzuweisen.
Was ist aus der Entscheidung zu folgern?
Das Gericht hat im Rahmen seiner Entscheidung bestätigt, dass es sich bei der Veröffentlichung von Bildern eines minderjährigen Kindes auf einer Internetseite zu Werbezwecken um eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung gem. § 1687 Abs. 1 Satz 1 BGB handelt. Entscheidungen für und gegen die Veröffentlichung müssen bei gemeinsamem Sorgerecht ebenso wie Entscheidungen über ein Vorgehen gegen eine Veröffentlichung der Fotos einvernehmlich getroffen werden.
Um alleine agieren zu können, hätte im vorliegenden Falle zuvor eine Übertragung der Entscheidungsbefugnis vom Familiengericht angeordnet worden sein müssen. Da weder eine Abstimmung mit der ebenfalls sorgeberechtigten Mutter noch eine Übertragung dieser Entscheidungsbefugnis auf ihn allein bisher vorlag, war sein Vorgehen nicht rechtmäßig, wonach die die Erfolgsaussichten entsprechend negativ bewertet werden, was wiederum zwangsläufig zur Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrags führen muss.
Hinweis:
Im Fall der Veröffentlichung von Bildern minderjähriger Kinder müssen sich die Sorgeberechtigten miteinander abstimmen. Auch wenn die Mutter des Kindes den Vater trotz gemeinsamer Sorge in ihre Entscheidung zugunsten einer Veröffentlichung nicht einbezogen hat, rechtfertigt dies nicht eine ebenfalls im Alleingang getroffene Gegenwehr des Vaters. Denn er ist hierdurch nicht automatisch berechtigt, im Namen des Kindes allein gerichtliche Schritte gegen diese Bildpräsentationen voranzutreiben.
Quelle: Rechtsprechung Nds. Landesjustizportal
Fundstelle: OLG Oldenburg, Beschl. v. 24.05.2018 – 13 W 10/18
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